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Sizilien Teil 3: Süßer Wein, salzige Idylle und die Mafia

Die Basic steht noch bei Siebenrock, das Stuttgarter Wetter macht einen auf Winter und ich darf mit ner fetten Erkältung und jeder Menge Fernweh das Sofa hüten. Gute Gründe, endlich unser „Reisetagebuch“ weiterzuschreiben: Der dritte Teil unserer Sizilienreise beschäftigt sich unter anderem mit kulinarischen Genüssen, Sonnenuntergängen und der Mafia.

Wir starten an der Westküste und durchqueren die halbe Insel bis nach Enna, dem Stadt gewordenen Alptraum für jedes Navi. Aber erstmal Marsala:

Sonntag, 19. Oktober 2014

Die Cantina Pellegrino ist eine der beiden großen Marsala-Kellereien und nur einen Steinwurf von unserer tollen Wohnung entfernt. Führungen finden täglich um 10.00 Uhr statt, sagt das Internet. Dafür haben wir trotz Urlaub extra den Wecker gestellt und springen voll motiviert aus dem Bett – einem tollen, riesig großen und sehr bequemem Bett übrigens. Die Mückengitter an Tür und Fenster haben ihren Beitrag zu einer ruhigen und erholsamen Nacht ebenfalls geleistet – so hatte ich mir das vorgestellt.

Pünktlich stehen wir vor der Kellerei, aber das Tor bleibt verschlossen. Nichts regt sich. Vermutlich ist den Sizilianern ihr Sonntag jetzt außerhalb der Saison doch wichtiger als die wenigen Touristen, die sich noch hierher verirren. Also fällt der einzige Programmpunkt für heute ins Wasser. Wir haben auf einmal alle Zeit der Welt und bummeln gemütlich an der Landzunge entlang Richtung Innenstadt.

Die Sonne knallt vom Himmel und es ist sommerlich warm. Wenn es hier einen Strand gäbe, wäre das jetzt die Gelegenheit, unsere Badesachen zu holen. Gibt es aber nicht wirklich. Zumindest nicht öffentlich. Einige Yachtingclubs haben private Mini-Strandstücke angelegt, ansonsten ist der Übergang vom Land ins Wasser eher felsig. Ein paar kleine Boote schaukeln im Wasser, ein Zirkus bricht die Zelte ab, um weiterzuziehen – das war’s schon in Sachen Geschäftigkeit am Sonntag Vormittag. Bis auf die Feuerwehr – die üben doch tatsächlich hier Sonntags. Ralf beobachtet fachmännisch das probeweise Löschen eines wohl extra aufgeschichteten Bergs Gestrüpp. Mir ist der Blick aufs Meer lieber.

In der Innenstadt bewegt sich das Leben im Vergleich zu gestern Abend fast in Slow Motion. Die Menschen gehen langsamer, sprechen leiser, selbst die Kinder sind sonntäglich brav. Vor einem kleinen Lokal in einer schattigen Seitenstraße stehen ein paar Tische, die Karte verspricht leckere Salate. Da lassen wir uns nicht zweimal bitten und genießen sizilianischen Kartoffelsalat, der so gar nichts mit unserem gemeinsam hat. Hier kommen grüne Bohnen, Tomaten, Zwiebeln, Oliven und allerlei leckere Kräuter zu den Kartoffeln ins würzige Essig-Öl-Dressing. Auf dem Rückweg gibt’s noch Kaffee und Cannoli, so dass wir erst am späten Nachmittag die Mopeds aus der Freiluft-Garage holen und ganz gemütlich an der Küste entlang nach Norden cruisen.

Ganz gemütlich deshalb, weil wir auf der Suche nach den Salinen sind, die auf der Karte nur ungenau eingezeichnet sind. Am Ortsausgang tauchen schon die ersten „Salzberge“ auf, aber bis zu den markanten Windmühlen der „Saline Ettore e Infersa“ müssen wir uns noch knappe 10 Kilometer gedulden. Schon von weitem sind wir verzaubert von dieser Postkartenidylle. Die Windmühlen spiegeln sich auf dem Wasser, die tief stehende Sonne taucht alles in ein weiches Licht – und es sind so wenige Leute da, dass wir die Motorräder einfach mitnehmen auf einen der gemauerten Stege. Viel zu schnell geht die Sonne unter – wir hätten doch früher her kommen sollen.

Als wir uns endlich zum Aufbruch durchringen können, ist es schon stockdunkel. Ein Zwischenstopp am Supermarkt versorgt uns mit Spaghetti, dem für Sizilien typischen Pistazienpesto und einem leckeren Nero d’Avola, so dass wir erst unsere Küche einweihen und dann den Abend gemütlich auf einem unserer Balkone ausklingen lassen.

Montag, 20. Oktober 2014

Wieder stehen wir um 10.00 Uhr pünktlich vor der Cantina Pellegrino. Diesmal ist das Tor offen und wir betreten gespannt das supermoderne Empfangs- und Verkostungsgebäude. Es gibt sogar eine deutsche Führung, aber die Gruppe hat Verspätung, also haben wir Zeit, uns selbst ein wenig umzuschauen. Schließlich bekommen wir jeder einen Brustbeutel mit einem Glas drin und es geht los. Schnell wird uns der Nutzen dieser Ausrüstung klar, denn hier ist die Verkostung in die Führung integriert. Auf der Tour durch die modernen Keller erklärt uns Angela, wie Marsala hergestellt wird – Sherry lässt grüßen. Außerdem dürfen wir verschiedene Marsalas probieren, direkt aus dem Faß, jeweils mit kleinen, genau dazu passenden Snacks. Mein Highlight ist der rote Marsala mit Bitterschokolade. Zwischen den Verkostungsstationen sind die Gläser im Brustbeutel aufgeräumt, man hat die Hände frei und tropft keine Reste auf den Fußboden. Gute Idee!

Nach der Führung nutzt unsere Gruppe die Möglichkeit, im Shop weitere Marsalas individuell zu verkosten. Wir halten uns da etwas zurück, schließlich müssen wir heute noch fahren. Zwar nur bis zur Saline, aber immerhin. Um heute Abend etwas mehr Zeit bei den Windmühlen verbringen zu können, haben wir uns nämlich entschieden, erst morgen weiter zu fahren. Als Ausgleich für die Enthaltsamkeit wandern mehrere Flaschen Marsala in den Rucksack. Kaffee und Cannoli in unserem fast schon Stammcafé sind Belohnung Nummer zwei.

Nach einem ausgedehnten Mittagsschlaf (Ralf) und ein paar Stunden Arbeit (ich) machen wir uns diesmal früher auf den Weg zur Saline und werden mit dem perfekten Fotolicht belohnt. Wir sind heute ganz allein am Steg und haben dazu noch mehr Zeit. Besser geht es kaum. Zufrieden besuchen wir noch das kleine Salinenmuseum und genießen den Sonnenuntergang diesmal in der Bar direkt am Wasser. Das weitere Abendprogramm ähnelt dem von gestern, mit dem Unterschied, dass es heute Spaghetti Bolognese gibt.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Heute verlassen wir die Westküste Siziliens. Unser Tagesziel heißt Enna, der einzige geplante Zwischenstopp ist das rund 100 Kilometer entfernte Corleone, dort haben wir um 13.00 Uhr einen Termin mit Marilena. Wer Corleone hört, denkt meist Mafia. Zu Recht und deswegen befindet sich in diesem netten Städtchen auch das nach eigenen Angaben weltweit einzige Anti-Mafia-Museum. Betonung liegt auf „Anti“, erklärt uns Marilena in der fast exklusiven Führung. Ihre Großeltern hätten sich noch nicht getraut, das Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. In der Generation ihrer Eltern wurde die Mafia höchstens im Flüsterton hinter verschlossenen Türen angesprochen. Sie betrachtet es als großes Geschenk, offen darüber sprechen zu können, auch wenn die Mafia immer noch aktiv und ihre Arbeit daher nicht ganz ungefährlich ist.

Das Museum selbst besteht aus drei Räumen und vielen Schwarzweiß-Fotos, anhand derer Marilena die Geschichte der Mafia von den Anfängen bis in die 90er Jahre erzählt. Die Akten aus dem spektakulären Massenprozess von 1987, in dem 344 Mafiosi zu insgesamt 2.665 Jahren Haft verurteilt wurden, füllen eine ganze Wand. Nach dieser für die Mafia schweren Niederlage kam es 1992 zum traurigen Höhepunkt, der Ermordung der beteiligten Richter Falcone und Borsellino. Drahtzieher war der in Corleone geborene, heute 85 Jahre alte Mafiaboss Salvatore Riina, der 1993 gefasst wurde und laut Marilena der letzte der „sichtbaren“ und vordergründig gewalttätigen Mafiabosse war. Heute wirkt die Mafia eher im Verborgenen. Ein ernstes Thema, das im Antimafia-Museum mit viel Engagement gezeigt wird. Die Fotos sind nicht beschriftet, deswegen empfehlen wir, unbedingt vorher eine Führung zu vereinbaren. Allein die vielen Geschichten hinter den Fotos lohnen den Besuch.

Gegen halb drei sind wir wieder auf der Straße. Die knappen 200 km bis Enna sind genau richtig, um das gerade Erlebte zu verarbeiten. Passend zu unserer nachdenklichen Stimmung führt das erste Stück des Weges durch die bekannt kargen, abgeernteten Weizenfelder. Dann kurz vor Castronovo di Sicilia plötzlich ein kleines Waldstück mit richtig hohen Bäumen. Wir setzen den Blinker und verbringen unsere Mittagspause mutterseelenallein auf einer Art Wald-Familien-Spiel-Grillplatz, der auch in jedes deutsche Mittelgebirge gepasst hätte. Im Sommer ist hier sicher die Hölle los.

Hinter Lercara Friddi biegen wir von der kleinen SP 78 auf die noch kleinere SP 22 ab, die auf den ersten Metern dank extrem schlechtem Teer etwas nervig zu fahren ist. Das haben sich die sizilianischen Straßenbauer wohl auch gedacht und für die nächsten 10 Kilometer den Teer einfach weggelassen. Spaß pur! Die Basic ist in ihrem Element und die TDM ignoriert ihre Straßenreifen und macht einfach mit. Kurz vor Alia haben die Mopeds wieder Teer unter den Rädern und wir noch Stunden später ein breites Grinsen im Gesicht.

Die Sonne sinkt immer tiefer und wir haben erst die Hälfte des Weges geschafft, deswegen ist jetzt erstmal Hauptstraße angesagt. Die tröstet uns immerhin mit leckeren Kurven und schönen Ausblicken. Irgendwann taucht Enna in der Ferne auf – unschwer zu erkennen, denn die Stadt ist auf einen Felsen gebaut, der ganz allein in der Ebene herumsteht. Das führt zu einem Gewirr kleiner und kleinster Straßen, die teilweise übereinander liegen und mit Treppen verbunden sind. Jedes Eckchen Platz ist ausgenutzt – und jedes Navi überfordert, erzählen uns später unsere Vermieter.

Auf der Suche nach dem heute morgen gebuchten B&B rechnet sich unser TomTom fast einen Wolf und ändert ständig die Route, weil wir seine Anweisungen ignorieren. Denn die führen bevorzugt steile Treppen hoch. Laut Anzeige 300 Meter vom Ziel entfernt stehen wir wieder vor so einer Treppe und geben auf, zumal es mittlerweile dunkel ist und wir außerdem Hunger haben. Ralf bleibt bei den Mopeds und ich mache mich zu Fuß an den Aufstieg.

Unsere Vermieter haben schon auf uns gewartet. Guiseppe begleitet mich zurück zu Ralf und den Mopeds und erklärt uns uns den Weg. Wir müssen wieder ganz außen rum und von der anderen Seite den Berg hoch. Dabei sind wir Luftlinie echt nur noch ein paar hundert Meter weg. An der Banco Sicilia wartet er und lotst uns das letzte Stück durch die kleinen, engen Straßen. Patricia begrüßt nun auch Ralf sehr herzlich, wir bekommen ein liebevoll eingerichtetes Zimmer und die Mopeds einen Parkplatz direkt vor der Tür des gegenüberliegenden Irish Pubs, der aber heute geschlossen hat.

Raus aus den Mopedklamotten und rein ins nächste Restaurant, so unser Plan für den Abend. Patricia hat diverse Empfehlungen und so wird es erst das übernächste, dafür genießen wir ein leckeres Essen fast unter Einheimischen und lassen diesen ereignisreichen Tag bei einem guten Nero d’Avola Revue passieren.

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Hier geht’s zu den anderen Teilen unseres Tagebuchs:

5 Gedanken zu „Sizilien Teil 3: Süßer Wein, salzige Idylle und die Mafia“

  1. Halo Birgit,

    ein sehr schöner Reisebericht, das macht Laune auf m(e)ehr.
    Schön das ihr zwei die ganze Touren miteinander machen könnt. Alleine macht das bei weitem nicht so viel Spaß. Deshalb mache ich bei meinen Touren auch immer so viele Kilometer…

    1. Hallo Jan,

      danke für das Kompliment, es war auch eine tolle Reise. Und mir geht es genauso wie dir, alleine mach ich auch immer viel weniger Pausen – macht halt nicht soviel Spaß, allein irgendwo rumzusitzen. Andererseits kommt man alleine viel eher mit den Leuten ins Gespräch, wenn denn da welche sind.

      LG Birgit

  2. Hallo Birgit, hallo Ralf,

    bis auf die Mückenstiche machen Eure Erzählungen und die Bilder Lust sofort auf Tour zu gehen. Ich bin sehr inspiriert und muss dringen mit meinem Freund reden, wann wir Urlaub bekommen. Ich hoffe, Ihr hattet in der Zwischenzeit viele weitere toller Erlebnisse mit Euren Bikes!

    Beste Grüße!

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